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Fähigkeiten und Prüfplanung bei Merkmalen mit Allgemeintoleranzen

Beitrag 19.07.2021, 10:08 Uhr
SQ-Qualitos
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Hallo zusammen,

gerne möchte ich mich bei den erfahrenen Praktikern unter euch bzgl. der Berücksichtigung von Merkmalen mit Allgemeintoleranzen in der Prüfplanung erkundigen.

Für besondere Merkmale werden in der Regel ja bestimmte Prozessfähigkeiten erwartet.

Sollten diese nicht erreicht werden, so wird vom Kunden mittels Vereinbarung in der Regel eine 100% Prüfung verlangt.

Soweit klar.


Wie sieht es jedoch mit der Absicherung der sonstigen Merkmale, wie Merkmal mit Allgemeintoleranzen, aus?

Wie sichert ihr diese mittels Prüfplan, Prozessvalidierung/Prozessfähigkeit in der Praxis ab?

Wie gestaltet ihr die serienbegleitenden Prüfungen für diese Merkmale?



Müsste man nicht zur Sicherstellung, dass auch diese Merkmale bei jedem Teil eingehalten werden eine Prozessfähigkeit durchführen oder auf 100% Prüfung gehen?

Dies stelle ich mir bei dutzenden sekundären Merkmalen mit Allgemeintoleranz sehr aufwendig vor, daher meine Frage an euch, wie ihr die Einhaltung der Toleranzen für diese Merkmale für jedes Teil absichert.

Eine weitere Frage zu der mir ein paar Ansätze aus der gelebten Praxis, weiterhelfen würden:

Zu welchen Zeitpunkten / Anlässen prüft ihr ein Teil voll, also inklusive aller Merkmale, abgesehen von der Bemusterung?



Im Voraus vielen Dank für eure Rückmeldungen!

Qualitos
   
Beitrag 19.07.2021, 14:15 Uhr
Sonntag
Sonntag
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Guten Tag Qualitos,

bitte vermischen Sie nicht die Oberbegriffe "Besonderer Merkmale" und (Allgemein-)Toleranzen.
Besonderer Merkmale sind gemäß IATF 16949 "Produktmerkmale oder Produktionsprozessparameter, die Auswirkungen aus Sicherheit oder Einhaltung von behördlichen Vorschriften, die Passform, die Funktion, die Leistung oder die weitere Verarbeitung des Produktes haben können."
Besondere Produktmerkmale können auch mit Allgemeintoleranzen versehen sein.
Der Designverantwortliche legt die Besonderen Produktmerkmale (z.B. mit Hilfe der Design-FMEA) fest und der Fertigungsprozesseigner legt die Besonderen Produktionsprozessparameter (mit Hilfe der Prozess-FMEA) fest.
In den kundenspezifischen Anforderungen und/oder der QSV legt der Kunde fest, welche Fähigkeitsnachweise bei Besonderen Produktmerkmalen, aber auch bei kritischen, wichtigen oder sonstigen Produktmerkmalen zu erbringen sind.
In der Serienfertigung werden üblicherweise nach dem Einrichten oder nach festgelegten Zeiträumen alle beim Fertigungsprozess beeinflussten Produktmerkmale geprüft.
Wenn technisch sinnvoll und machbar, wird bei allen Besonderen Produktmerkmalen und weiteren wichtigen Produktmerkmalen SPC angewendet.
Üblich ist auch das Verfahren Erst- und Letzteilprüfung.
Die Überprüfung aller Produktmerkmale erfolgt mittels Requalifikationsprüfung. Je nach Kunde werden regelmäßige (jährlich/alle X Jahre) Requalifikationsprüfungen an allen Produkten oder aus einer Produktgruppe verlangt.


--------------------
Mit freundlichen Grüßen
aus dem Naheland
Sonntag
   
Beitrag 19.07.2021, 22:20 Uhr
SQ-AnJo
SQ-AnJo
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Hallo Qualitos,

auch ich war genau darüber verwundert, warum diese Anforderungen immer auf besondere Merkmale verweisen und nicht auf alle Merkmale.

In dem einem oder anderem Gespräch mit der Entwicklung ist auch schon mal der Hinweis gefallen, dass einige Merkmale zwar nicht als besonders gekennzeichnet wurden, jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Funktion haben (somit also auch einer besonderen Überwachung erfordern).

Naja, die Vorgehensweise und die Prüfhäufigkeit hängt natürlich sowohl von der aktuellen Prozessfähigkeit / -stabilität ab, aber auch von dem Fertigungsverfahren.

Bei einem Drehprozess z.B. werden mehrere Merkmale mittels einem Werkzeug innerhalb eines Beabeitungsschrittes fertiggestellt. Wenn man hierbei auch ein besonderes Merkmal hat, kann man z.B. während dem PPAP / PPF Prozess ermitteln, inwieweit die anderen Merkmale innerhalb der Toleranz gefertigt werden bzw. wie Prozessstabil diese sind. Wenn man hier eine Beziehung feststellen kann, kann man damit auch davon ausgehen, dass bei der Einhaltung des besonderen Merkmals (besitzen meist eine geringere Toleranz als die anderen) auch die anderen Merkmale eingehalten werden. Die Prüffrequenz kann somit reduziert werden.

Die Requalifikation schließt nicht nur alle Maßprüfungen ein, sondern auch alle Funktionsprüfungen gemäß Control Plan / Produktionslenkungsplan. In diesem Falle kann die Prozessfähigkeit aller Merkmale nochmals ermittelt werden und die Beziehung zwischen besonderen Merkmalen und den weiteren Merkmalen überwacht werden.

Ach, nicht vergessen zu ermitteln, ob der Prozess zufälligen oder auch systematischen Einflüssen unterliegt.

Gruß

Andreas
   
Beitrag 20.07.2021, 13:04 Uhr
SQ-Qualitos
SQ-Qualitos
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Vielen Dank für eure Antworten!

Ihr habt mir schon ein Stück weiter geholfen, jedoch ist mir das Vorgehen bei "nicht besonderen Merkmalen" noch nicht ganz klar.

Wie groß sind in der Praxis nach eurer Erfahrung die Umfänge für die Erst- und Letzteilprüfung?

Werden Erst- und Letzteil üblicherweise voll geprüft (Vermessung aller Merkmale, inkl. Form/Lage, Rauheit) oder wie kennt ihr dies?


Wie wird der Nachweis erbracht, dass "nicht besondere Merkmale", die Toleranz einhalten, wenn für diese Merkmale in der Praxis keine Fähigkeiten gefordert werden und auch keine 100% Prüfung durchgeführt wird?

Ich verstehe Andreas´ Schilderung, dass man bei gleichem Drehwerkzeug davon ausgehen kann, dass wenn ich mit diesem eine Prozessfähigkeit für das besondere Merkmal erreiche, ich auch eine Prozessfähigkeit für ein "nicht besonderes Merkmal" mit größerer Toleranz erreiche.

Was ist jedoch, wenn ich bspw. ein Bearbeitungszentrum habe, welches verschiedenste Werkzeuge und Technologien (Drehen, Fräsen, Bohren,...) aufweist.

Bsp:

Ein gedrehter Durchmesser ist das besondere Merkmal und dafür konnte die Fähigkeit nachgewiesen werden.


Wie sichert man in der Praxis nun ab, dass die "nicht besonderen Merkmale", welche zwar auf der gleichen Maschine aber mit anderen Verfahren hergestellt wurden, bei jedem erzeugten Bauteil auch innerhalb der Toleranz sind?

Gibt es vllt. Lösungswege, wie die einmalige Durchführung einer Maschinenfähigkeit oder verlässt man sich gar ganz darauf, dass die Maschine dies schon einhalten wird ohne dies statistisch abzusichern?

Welche Unterlagen erhält man von den Maschinenherstellern, wenn man die Maschine geliefert bekommt hinsichtlich garantierter Toleranzeinhaltung/Fähigkeit?


Ich weiß, dass sind eine Menge Fragen aber diese beschäftigen mich schon länger und ich hoffe ihr könnt mir weiterhelfen!


Ich bin gespannt auf euer Feedback!

Im Voraus vielen Dank!

Grüße,
Qualitos
   
Beitrag 21.07.2021, 21:33 Uhr
AlexQS
AlexQS
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Hallo Qualitos,

ja sind viele Fragen und auch zu einem etwas komplexen Thema.
Ich versuche es trotzdem mal.

QUOTE
Wie groß sind in der Praxis nach eurer Erfahrung die Umfänge für die Erst- und Letzteilprüfung?

Werden Erst- und Letzteil üblicherweise voll geprüft (Vermessung aller Merkmale, inkl. Form/Lage, Rauheit) oder wie kennt ihr dies?


Nur die Produkt-/Prozessmerkmale die vom Fertigungsprozess beinflusst werden, siehe Sonntags Beispiel bezüglich Prüfumfang nach dem Einrichten.

QUOTE
Wie wird der Nachweis erbracht, dass "nicht besondere Merkmale", die Toleranz einhalten, wenn für diese Merkmale in der Praxis keine Fähigkeiten gefordert werden und auch keine 100% Prüfung durchgeführt wird?

.............

Wie sichert man in der Praxis nun ab, dass die "nicht besonderen Merkmale", welche zwar auf der gleichen Maschine aber mit anderen Verfahren hergestellt wurden, bei jedem erzeugten Bauteil auch innerhalb der Toleranz sind?

Gibt es vllt. Lösungswege, wie die einmalige Durchführung einer Maschinenfähigkeit oder verlässt man sich gar ganz darauf, dass die Maschine dies schon einhalten wird ohne dies statistisch abzusichern?


Naja die Einhaltung der Toleranz und ein fähiger Prozess, sind schon unterschiedliche Dinge.
Du kannst immer innerhalb der Toleranz sein und hast trotzdem keinen fähigen Prozess.
Die Frage ist auch welchen Fähigkeitskennwert musst du am Ende erreichen, ist es Cp/Cpk bzw. Pp / Ppk = 1,00 / 1,33 / 1,67 / 2,00 und so weiter?
Ich kenne bisher nur einen Kunden der sowas direkt in seine QSV geschrieben hat und dort ist die davon die Rede, dass alle "Standard" Merkmale min. Cp/Cpk bzw. Pp / Ppk = 1,00 haben sollen.
Bei allen anderen unserer Kunden und auch intern gibt es keinen festen Richtwert für die "normalen/standart" Merkmale.

Wie AnJo and Sonntag schon geschrieben haben, gibt es viele Möglichkeiten:
  • SPC
  • Erst- und Letztteilprüfung und bzw. weitere Serienprüfungen
  • Requalifikationsprüfungen
  • ........

Und wenn ihr diese Prüfungen dann auch noch dokumentiert z.B. durch: Fehlersammelkarte, Regelkarte, Maßaufzeichnungen usw. kann dies als Nachweiß dienen, dass du diese Merkmale einhälst.

Es gibt ja auch Merkmale die man vielleicht gar nicht direkt Messen kannst bzw. nur mit viel Aufwand.

Beispiel:
Ein Merkmal entsteht erst nach der Montage des Bauteils und dieses kann man in verbauten Zustand gar nicht richtig messen, z.B. weil die Bemaßung sich auf einen Punkt bezieht den du nach der Montage nicht mehr erfassen kannst.

Dazu gibt es aber Produkt- oder Prozessmerkmale auf den Einzelteilen, die dann vor der Montage gemessen werden.
Ob nun von euch oder einen Lieferanten ist erstmal egal.
Diese Produkt- oder Prozessmerkmale werden auch der Design bzw. Prozess-FMEA festgelegt. Das hatte der Sonntag glaube auch schon erwähnt.
Wir haben sowas bei uns öfter.
Wir argumentieren dann gegenüber unseren Kunden dann immer das wir bzw. unsere Lieferanten diese Merkmale in Einzelteilen bzw. vorhergegangen Prozessen überwachen und somit sein Merkmal absichern.

Hoffe ich konnte dir etwas weiterhelfen.

Gruß
Alex
   
Beitrag 22.07.2021, 14:36 Uhr
SQ-Qualitos
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Hallo Alex,

vielen Dank für dein Feedback!

QUOTE
Ich kenne bisher nur einen Kunden der sowas direkt in seine QSV geschrieben hat und dort ist die davon die Rede, dass alle "Standard" Merkmale min. Cp/Cpk bzw. Pp / Ppk = 1,00 haben sollen.
Bei allen anderen unserer Kunden und auch intern gibt es keinen festen Richtwert für die "normalen/standart" Merkmale.


Ich frage mich leider immer noch, wie man dann für die Standard Merkmale die Fähigkeit am einfachsten nachweist.

Vor allem wenn ich neben 3 besonderen Merkmalen noch 10-20 Standard Merkmale habe (Bsp.: 3 besondere Merkmale - Drehen , 10-20 Standard Merkmale - Fräsen, Bohren, …)

Führt man dann in der Praxis für jedes dieser 10--20 Merkmale eine Fähigkeitsanalyse durch?

Wie konntest du das bei dem von dir genannten Kunden lösen?

P.S.:

Gibt es vllt. noch jemanden, welcher mir die folgende Frage beantworten kann:

Welche Unterlagen erhält man von den Maschinenherstellern, wenn man die Maschine geliefert bekommt hinsichtlich garantierter Toleranzeinhaltung/Fähigkeit?


Vielen Dank für eure Hilfe!

Grüße,
Qualitos
   
Beitrag 22.07.2021, 16:09 Uhr
Sonntag
Sonntag
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Guten Tag Qualitos,

auch wenn es nervt: wir Qualitäter als Vorbild und Auditor sollten unbedingt die richtigen Begriffe verwenden:
Drehen, Fräsen oder Bohren sind Prozesse
Außendurchmesser, Innendurchmesser oder Tiefe sind Merkmale
Zur Erstbemusterung fertigen Sie auf Serienmaschinen mit Serienwerkzeugen Serienteile und vermessen mit statistisch fähigen Messmitteln die 10-20 Merkmale. Sie ermitteln die Maschinenfähigkeit Cmk und auch die Prozessfähigkeit gemäß VDA Band 4 (Neuer Rotband seit 2020).

Wenn Sie eine Fertigungsmaschine kaufen, erstellen Sie ein Pflichtenheft, welches die Abnahmekriterien klar definiert (Artikel, Stückzahl, Merkmale mit Toleranzen, Werkzeuge, Spannmittel, Messmittel, Berechnung Cmk einschließlich Festlegung der Auswerungs-Software u.s.w.).
Die Vorabnahme erfolgt beim Maschinenhersteller und die Endabnahme nach der Aufstellung am Fertigungsort.
Wenn Sie nichts fordern, bekommen Sie wahrscheinlich den Standard basierend auf den Richtlinien des VDMA, die ggf. nicht in allen Punkten die Erwartungen oder Forderungen der Automobilindustrie erfüllen.

Wichtig ist, dass alle Punkte vor Vertragsabschluss geklärt sind und das Pflichtenheft mit den Abnahmekriterien Vertragsbestandteil ist.


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Mit freundlichen Grüßen
aus dem Naheland
Sonntag
   
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